Rede in der Ratssitzung am 19.06.2006
Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, ist wahrlich nicht besonders erbaulich. Noch Anfang dieses Jahres hat die Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Landtag hin eine Befreiung der SGB II beziehenden Familien von Lernmittelkosten zugesagt. Ich zitiere die Schulministerin: „Die Landesregierung hält an ihrer Absicht fest, im Bereich der Lernmittelfreiheit die Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II gesetzlich von der Zahlung des Eigenanteils zu befreien.“ Insofern trifft die Neugestaltung dieses Teiles des neuen Schulgesetzes die Kommunen in besonderer Weise unvorbereitet.
Weiterhin tangiert die „freiwillige“ Übergabe der Lernmittelfreiheit an die Kommunen das in der Landesverfassung verankerte Konnexitätsprinzip, welches das Verursacherprinzip bei politischen Entscheidungen in den Mittelpunkt stellt und somit auch die finanziellen Pflichten regelt. Die kommunalen Spitzenverbände haben in ihrer Stellungnahme zum neuen Schulgesetz bereits darauf verwiesen, das hier an vielen Stellen gegen dieses Junktim verstoßen wird: . In einem Schreiben an das zuständige Schulministerium vom 8. Mai 2006 führen die Kommunalen Spitzenverbände aus:
„Unverzüglich nach Erhalt des Referentenentwurfs zum Zweiten Schulrechtsänderungsgesetz hat die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände mit Schreiben vom 10. Februar 2006 darauf hingewiesen, dass nicht nur hinsichtlich der in § 96 Abs, 3 des Referentenentwurfs enthaltenen Ausweitung der Eigenanteilsregelung bei den Lernmitteln, sondern auch bezüglich der Organisation vorschulischer Sprachkurse und des Aufbaus von Unterstützungsstrukturen bei eigenständigen Schulen aus ihrer Sicht das Konnexitätsprinzip und Konnexitätsausführangsgesetz einschlägig sind[Ö]“
Eine entsprechende Beachtung dieser Stellungsnahme hat seitdem nicht stattgefunden, so dass eine ausführliche Berücksichtigung der kommunalen Interessen nicht absehbar ist.
Die Aushöhlung des Konnexitätsprinzips, wie hier erwähnt, ist vor dem Hintergrund der dramatischen Haushaltssituation der Stadt Wuppertal allerdings nicht länger hinnehmbar, so dass eine juristische Prüfung dieses Verfahrens unseres Erachtens nach unerlässlich scheint.
Die Missachtung kommunaler Interessen hat einen neuen Höhepunkt erreicht durch die scheinbare „Freiwilligkeit“ der Übernahme der Kosten für die Lernmittel. Dieser Weg darf nicht zur Normalität werden, ansonsten werden die ohnehin bescheidenen Spielräume kommunaler Haushalte zukünftig auf mikroskopische Größe schrumpfen.
Trotzdem bleibt uns keine andere Möglichkeit, die Gleichbehandlung von ALG II-Empfängern, bzw. ihren Kindern aus dem städtischen Haushalt zu finanzieren. Zum ersten natürlich aus sozialen Erwägungen. Wie oft haben wir eigentlich in den letzten Monaten fraktionsübergreifend hier im Rat auf das Selbstverständliche hingewiesen, nämlich darauf, dass der schulische Erfolg auf gar keinen Fall abhängig sein darf von der finanziellen Potenz der Eltern? Entlang der Themen Elternbeiträge und Mittagsverpflegung in der OGGS haben wir dies alles bereits lang und breit diskutiert und trotzdem kommen immer neue Probleme auf die Stadt zu. Doch dürfen wir die Kinder deshalb nicht im Regen stehen lassen und das werden wir auch nicht tun.
Weiterhin können wir es uns im Wettbewerb der Städte nicht erlauben, das Ziel einer „sozialen Stadt“ zu vernachlässigen. Dies bedeutete nämlich einen erneuten Wettbewerbsnachteil und Attraktivitätsverlust für unsere Stadt, was wir uns nicht weiter erlauben können.
Um das ganz deutlich zu betonen: die Verantwortlichen für die Unsicherheiten in den letzten Wochen bezüglich der Lernmittelfreiheit sitzen nicht in diesem Gremium. Wir müssen nur wieder einmal ausbaden, was auf Landesebene versäumt wurde. Im Interesse der Kinder in unserer Stadt werden wir dies wieder einmal in Kauf nehmen müssen. Aber, um einen ehemaligen Sozialdemokraten zu zitieren: Die Wut wächst.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit